Beinahe zwei Jahre sind seit dem ersten völligen Stillstand aufgrund der Pandemie
im März 2020 vergangen. Zwei Jahre, die Krankenhäuser überfüllt und Pflegepersonal erschöpft haben. Ebenso die Menschen, die persönliche Einschränkungen und finanzielle Einbußen hinnehmen mussten. Mit dem Abebben der Pandemie geht auch das Vergessen einher. Einige wenige versuchten sich am 17. Februar dagegen zu stemmen.
Bei einsetzendem Wind und aufkommendem Regen hat sich ein kleines Grüppchen von Menschen am Abend des 17. Februar im Schladminger Rathauspark eingefunden. Es sollte gemeinsam zehn Minuten lang geschwiegen werden. Bis zum Einsetzen der Kirchenglocken zur vollen Stunde. Ein stilles Gedenken an die Erkrankten und Verstorbenen der Pandemie. Ihr Einvernehmen galt auch den Helfern, die beinahe 24 Monate lang im Dauereinsatz in Krankenhäusern und Pflegeheimen Erkrankte und alte Menschen betreuten. Sie seien viel zu wenig gewürdigt worden, so der Tenor der Anwesenden. Sie wollten ein Zeichen setzen für die schweigende Masse, die ihre Pflicht in diesen zwei Jahren erfüllt hatten. Die Helfer, die zumeist ohne Protest, teils mit Depressionen und Burnout kämpfend, mit Erschöpfung und Überforderung, zwei Jahre lang durchgehalten haben, ohne finanzielle Sonderzahlungen.
Bild: Hossein Khavary
Begleitet von den Hintergrundgeräuschen einer pulsierenden Skimetropole fand der Moment des Schweigens statt. Lautes Gelächter vom Würstchenstand gegenüber, Gegröle einer angeheiterten Männergruppe mittleren Alters aus der nahegelegenen Aprés Ski Bar, die einen Schlachtgesang anstimmten. „Zwei Welten prallen aufeinander“, konstatiert einer der eingesetzten Sicherheitsleute. Seine Stimme hallt laut vernehmlich über den Platz. Proteste gab es keine bei diesem Lichtermeer, das sich auf einige wenige Trauernde, Betroffene und solidarisch Fühlende reduziert hat. Die Pandemie scheint - wieder einmal – in den Köpfen der Menschen für beendet erklärt worden zu sein. Trotz täglicher Neuinfektionsraten von weiterhin an die 30.000 in Österreich. Omikron, das griechische Synonym für die aktuell vorherrschende Virusvariante, hat vielen Menschen den Schrecken vor der Erkrankung genommen. Milde Krankheitsverläufe und endlich nicht mehr überfüllte Intensivstationen gehen mit Omikron einher. Der Bann scheint gebrochen zu sein, das normale Leben nimmt wieder Fahrt auf. Die Maskenpflicht fällt im normalen Handel und in Schulen, Restaurants und Bars werden bald wieder alle Gäste in sich aufnehmen können. Zwar getestet, aber immerhin.
Für den Organisator des Lichtermeeres Hannes Stickler ist die sinkende Brisanz bei den Covid-Erkrankungen kein Grund, die Bedeutung des Lichtermeers in Frage zu stellen. Es gehe um eine grundsätzliche Haltung der Solidarität gegenüber seinen Mitmenschen, so der katholische Diakon und Seelsorger. Das Lichtermeer sei ein Dank an alle Menschen, die schwere Belastungen durchstehen mussten. Pflegekräfte, Krankenhauspersonal, Familienangehörige, Angestellte im Lebensmittelhandel, alle Menschen, die ihre Arbeit auch in den Lockdown-Zeiten erledigen mussten. Auch der Bürgermeister der Gemeinde Schladming nimmt an dem Gedenken teil. Hermann Trinker verweist auf die Belastung, die Kinder und Jugendliche zu tragen hatten, zuhause im Distance-Learning, das verpasste Wissen, das auf sie negativ zurückfallen könnte, aber auch die versäumte Zeit mit Freunden. Eltern, Lehrer und Kindergärtner hätten viel in den vergangenen 24 Monaten zu schultern gehabt, so
Trinker. Ein älteres Ehepaar nutzt die Schweigeminuten, um an ihren an Covid-19 verstorbenen Bruder und Schwager zu denken. Er sei „der gesündeste Mensch“ gewesen. Ihr Dank gelte den Pflegekräften im Spital. Sie verstünden nicht, dass es immer noch Leute gebe, die das alles schlechtreden würden. „Wenn
einer innerhalb sechs Wochen stirbt, denkt man anders.“
Der Diakon und Seelsorger Hannes Stickler erinnert zudem an die Menschen, die aufgrund von Besuchsverboten in Pflege- und Altersheimen an Einsamkeit gelitten haben, an Sterbende, die nicht den vertrauten Kreis der Familie um sich haben konnten, Verwandte, die gezwungen waren, sich allein zu verabschieden, da sie keinen Zugang zu ihren sterbenden Familienangehörigen erhielten.
Diese Ereignisse verschwinden allzu rasch im Vergessen, wenn die Wut über Maßnahmen hochkocht und die Hoffnung auf Normalität sich breit macht.
Zehn Minuten Schweigen und brennende Lichter sollten diese Momente wieder in Erinnerung rufen. Es sollte zu einem Akt der Dankbarkeit und der Solidarität werden. Allzu wenige sind dem Aufruf gefolgt. (Text: Andrea Sieder-Güney, Ennsseiten)
Bild: Diakonhannes
Bildergalerie: Johannes Moosbrugger
Bildergalerie: Johannes Moosbrugger Berichte: Kleine Zeitung #yeswecare #yeswecareschladming
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